Rede zum Waldspaziergang am 23.11.24 mit Besuch von Carola Rackete:
Eine kalte Nacht im Februar. Rote Lichter sind in den Bäumen zu sehen. Und mit den ersten Sonnenstrahlen zeigen sich die Strukturen, die in den Bäumen hängen. Der Wasserwald ist besetzt. Ein Nährboden für Widerstand, Kampf und Gemeinschaft. Und sie sprossen. Seit über neun Monaten wehren wir uns aktiv gegen die Erweiterung einer Fabrik, die eigentlich nie hätte gebaut werden sollen. Einem faschistischen Milliardär wie Elon Musk wurden hier alle Voraussetzungen geboten. Um in einem Wasserschutzgebiet eine Produktionsstätte zu errichten, die jene auf dem Rücken tragen müssen, die vom kapitalistischen System als nichtig gesehen werden. Für Elons „saubere“ Autos müssen im Congo Kinder in Mienen arbeiten, in der Fabrik in Grünheide werden Arbeitende krank durch Überlastung und über 60 % der Anwohnenden sagen ganz klar, dass sie keine Erweiterung wollen. Und doch wird sie im Mai beschlossen. Neun Monate lang hing auf dem Weg in den Wald ein Banner mit dem Schriftzug: Willkommen in der Utopien Giga Factory. Wir steckten die Köpfe zusammen, versuchten eine Gemeinschaft wachsen zu lassen, die zum Fundament nicht Wettbewerb und Leistung ist. Sondern Autonomie. Selbstwirksamkeit und Verwaltung in allen Bereichen. Konzepte wurden ausgearbeitet und manchmal auch wieder verworfen, lange Nachschichten ließen Lieder entstehen, anti-kolonialistische Lesekreise und Skill Sharing unser kollektives Wissen wachsen.
Mit uns wuchs auch das Barrio und die Zahl der Baumhäuser, die im Wind in den Bäumen schaukelten.
Die meiste Zeit waren wir eine legale Versammlung, Menschen erklärten sich bereit offiziell ihre Namen und Gesichter preiszugeben und damit verbundenene Risiken in Kauf zu nehmen. Schließlich versuchten wir unterschiedliche Taktiken. Radikalität bedeutet auch Mut zu haben, um zu experimentieren. Zu probieren, ob man gewisse Strukturen des Systems gegen sich selbst ausspielen kann, um
es zu bekämpfen. Radikalität bedeutet einen Raum zu schaffen, der all die Bauteile enthält die es braucht um Brücken zu schlagen, auch zu Menschen, die eine andere Lebensrealität haben.
Diversity of Tactics bedeutet, dass vermummte Baggerbesetzungen koexistieren können mit Kaffe und Kuchen im Wald für die Anwohnenden.
Sie haben unser Zuhause zerstört. Als sie kamen mit ihren Maschinen, als sie Leute von dem Baumkronen zehrten, dachten sie, sie hätten gewonnen. Doch eigentlich gruben sie ihren eigenen Graben noch tiefer. Wir sind stärker als je zuvor. Mit jeder weiterer Maschine, die in den Wald rollte, wuchs die Wut in unserer Brust, mit jeder weiterem Baumhaus das fiel, wurde unser Feuer weiter angeheizt. Das, was wir in uns tragen, dass was nach in den letzten neun Monaten in uns gesprossen ist, werden sie uns nie entreißen können.
Doch was ist das genau? woher nehmen wir die Energie, uns diesem System, dieser Gewalt, dieser Übermacht entgegen zu stellen? Warum tun wir das? Warum geben wir nicht auf, verdrängen den Weltschmerz und machen uns ein schönes leben? Warum?
Uns verbindet Ehrlichkeit, Vertrauen, und Hoffnung. Wir sind ehrlich zu uns selbst, und gestehen uns ein, dass wir den Schmerz dieser Welt nicht ertragen können, dass Gewalt nicht relativierbar ist, und dass wegschauen dazu führt, das wir verkümmern. Wir sind ehrlich und gestehen uns ein das es nicht möglich ist wirklich glücklich zu sein, solange unser Glück durch das Leid anderer erkauft wurde.
Wir sind ehrlich, indem wir in Verbindung mit unserer Umwelt gehen, unsere Gefühle zulassen, und den Schmerz nicht verdrängen sondern ihm Raum geben.
Wir Vertrauen. Wir vertrauen unserem Gefühl. Unserem Gefühl für Schönheit, Gesundheit, Gerechtigkeit.
Vertrauen darauf, dass Menschen, wie jegliche Natur, danach streben, zu gedeihen. Vertrauen darauf, dass alle Menschen gutes tun wollen, wir aber unterschiedlichsten Zwängen ausgesetzt sind, die uns daran hindern zu gedeihen, daran hindern, in Verbindung mit unserer Umgebung zu sein, daran hindern, gesund zu unserer Umwelt zu sein. Niemand will giftig sein. Niemand will hässlich sein. Und doch ist unsere Welt voller Hässlichkeit, vergiftet durch Menschen.
Wir haben Hoffnung. Was bedeutet Hoffnung? Sieg wird häufig abgetan als ein Gefühl der Schwäche. Wir hoffen, weil wir zu schwach sind, um Gewissheit haben zu können. Doch Hoffnung bedeutet nicht die Augen vor der Realität zu verschließen, sondern ihr in die Augen zu sehen, das Risiko, die Arbeit, den Preis zu sehen, und mit Klarheit zu sehen, dass es den Weg wert ist. Das ist was uns verbindet. Wir sind lebendig gewordene Wahrheit, die aufeinander Vertrauen kann, mit der Klarheit, das wir das Richtige tun, dass es keine Alternative gibt. Wir sind die Hoffnung, die sich einen Weg bahnt, wo keiner zu sein scheint.
Wir sind das Leben, das schreit, tanzt, singt, und sich voller Wut und voller Liebe befreien wird.